Beratung vor Regress: Keine Nullstellung der Wirtschaftlichkeitsprüfung
Das Bundessozialgericht (BSG) hat keine vollständige „Nullstellung“ der Richtgrößenprüfung aufgrund des 2012 eingeführten Grundsatzes „Beratung vor Regress“ vorgenommen. Aber Vertragsärzte, die ihre Richtgrößen bislang noch nicht – durch die Prüfgremien förmlich festgestellt – um mehr als 25% überschritten haben, können sich auf die Regelung berufen (Az. B 6 KA 8/14 sowie B 6 KA 3/14).
Die Fälle
Ein hausärztlicher Internist aus Nordrhein sowie ein Orthopäde aus Baden-Württemberg wandten sich gegen Regressbescheide, die Mitte 2012 durch den jeweiligen Beschwerdeausschuss für die Prüfjahre 2009 bzw. 2008 festgesetzt worden waren. Anfang 2012 hatte der Gesetzgeber § 106 Abs. 5e S. 1 SGB V eingefügt, wonach bei erstmaliger Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25% vor dem Ausspruch eines Regresses eine individuelle Beratung erfolgen müsse. Am 26. Oktober 2012 und somit nach Ausspruch der Regresse in den beiden Fällen stellte der Gesetzgeber ergänzend in S. 7 der Regelung klar, dass der Grundsatz „Beratung vor Regress“ auch für Verfahren gilt, die am 1. Januar 2012 noch nicht abgeschlossen waren. Die Ärzte beriefen sich darauf und hielten die Bescheide daher für rechtswidrig.
Die Entscheidungen
Dem folgte das BSG nicht. Die Regelung des Gesetzgebers vom 26. Oktober 2012 sei keine „Klarstellung“, sondern eine Neuregelung, die erst ab diesem Zeitpunkt gelte. Zudem könne der Orthopäde sich auch nicht auf die Regelung berufen, da er 2008 nicht „erstmals“ seine Richtgrößen um mehr als 25% überschritten habe. Es erfolge keine „Nullstellung“ der Wirtschaftlichkeitsprüfung ab 2012. Vielmehr entfalle die „Erstmaligkeit“ und damit der Beratungsvorrang, wenn ein Vertragsarzt, durch die Prüfgremien förmlich festgestellt, sein Richtgrößenvolumen um mehr als 25% überschritten habe.
Soweit den Krankenkassen ab dem 26. Oktober 2012 durch die Rückwirkung der Neuregelung auf zurückliegende Prüfzeiträume etwaige Regresse entgingen, sei dies rechtlich nicht zu beanstanden, da die Kassen insoweit keine schutzwürdigen Rechtsposition inne hätten.
Fazit
Das BSG hat der ersehnten „Nullstellung“ eine Absage erteilt. Gleichwohl sind durch die Auslegung der „Erstmaligkeit“ für Vertragsärzte günstige Ansatzpunkte geschaffen worden. Ebenso drang der Internist mit der Rüge, eine Praxisbesonderheit sei zu Unrecht nicht anerkannt worden, entgegen aller Erwartungen durch. Eine vollständige Bewertung der Auswirkungen wird aber erst möglich sein, wenn die Gründe vorliegen. Dies gilt etwa für die Frage, ob mit „förmlicher Feststellung“ die Bestands- bzw. Rechtskraft gemeint ist.
Quelle: RA, FA für MedR, Wirtschaftsmediator Dr. Tobias Scholl-Eickmann, www.kanzlei-am-aerztehaus.de;
RA Nico Gottwald, www.rpmed.de
und RAin Dr. Anna Lauber