BGH: Keine Strafbarkeit von Vertragsärzten wegen Bestechlichkeit

Der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofes (BGH), der für die Beantwortung grundsätzlicher Rechtsfragen zuständig ist, hat in seiner seit Monaten mit Spannung erwarteten Grundsatzentscheidung (Az.: GSSt 2/11) entschieden, dass Ärzte, die von Pharmaunternehmen Geschenke oder andere Vorteile für die Verschreibung bestimmter Arzneimittel entgegennehmen, sich nicht wegen Bestechlichkeit strafbar machen.

Der Entscheidung lag die Frage zugrunde, ob niedergelassene, für die vertragsärztliche Versorgung zugelassene Ärzte bei der Wahrnehmung der ihnen gemäß § 73 Abs. 2 SGB V übertragenen Aufgaben, insbesondere bei der Verordnung von Arzneimitteln, als Amtsträger im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB und/oder als Beauftragte der gesetzlichen Krankenkassen im Sinne des § 299 StGB handeln. Diese Eigenschaft ist Voraussetzung für eine Strafbarkeit nach den sogenannten Korruptionstatbeständen des Strafgesetzbuches. In seiner am 22.06.2012 veröffentlichten Entscheidung stellt der BGH nunmehr klar, dass niedergelassene Ärzte weder als „Amtsträger“ noch als „Beauftragte“ der gesetzlichen Krankenkassen anzusehen seien, so dass eine Strafbarkeit wegen Bestechlichkeit nach den derzeit geltenden Strafvorschriften ausscheidet.

Dieser Entscheidung lag ein Fall zugrunde, in welchem ein Arzneimittelhersteller Ärzten Provisionen in Höhe von 5% des Herstellerabgabepreises dafür gezahlt hatte, dass sie ein bestimmtes Arzneimittel verschrieben. Das Landgericht Hamburg verurteilte den Arzt wegen Bestechlichkeit sowie die Pharmareferentin wegen Bestechung zu Geldstrafen. Gegen diese Entscheidung legte die Pharmareferentin Revision zum Bundesgerichtshof ein.

Der BGH führte in seiner Entscheidung aus, dass zwar die Krankenkassen als Stellen der öffentlichen Verwaltung zu qualifizieren seien und das System der gesetzlichen Krankenversicherung eine aus dem Sozialstaatsprinzip folgende Aufgabe sei. Dennoch seien Vertragsärzte nicht dazu bestellt, Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrzunehmen. Der freiberuflich tätige Vertragsarzt sei weder Angestellter noch Funktionsträger einer öffentlichen Behörde und damit kein Amtsträger. Er werde aufgrund der individuellen, freien Auswahl des gesetzlich Versicherten tätig. Sein Verhältnis zu dem Patienten werde – ungeachtet der mit der Zulassung verbundenen Verpflichtung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung – wesentlich von persönlichem Vertrauen und einer Gestaltungsfreiheit gekennzeichnet, die der Bestimmung durch die gesetzlichen Krankenkassen weitgehend entzogen sei.

Die Einbindung des Vertragsarztes in das System der öffentlichen Daseinsfürsorge verleihe der vertragsärztlichen Tätigkeit daher nicht den Charakter hoheitlich gesteuerter Verwaltungsausübung. Auch sei der Vertragsarzt bei der Verordnung von Arzneimitteln nicht Beauftragter der gesetzlichen Krankenkasse. Zum einen bewegten sich Vertragsärzte und Krankenkassen bei der Versorgung gesetzlich versicherter Patienten auf Augenhöhe. Zum anderen träfen nicht die Krankenkassen, sondern die Patienten die Arztwahl, an welche die Krankenkassen gebunden wären. Von der Übernahme einer Aufgabe durch den Vertragsarzt für die Krankenkasse könne daher auch bei der Verordnung von Medikamenten keine Rede sein.

Diese Entscheidung ist zu begrüßen, da sie den ärztlichen Beruf als freien Beruf stärkt und das Arzt-Patienten-Verhältnis in den Vordergrund rückt. Der BGH betont in seinem Urteil zu Recht, dass der freiberuflich tätige Vertragsarzt weder Angestellter noch Funktionsträger einer öffentlichen Behörde ist.

Dennoch darf diese Entscheidung nicht insoweit missverstanden werden, dass unzulässige Zuwendungen an Ärzte nur an strafrechtlichen Vorschriften gemessen werden. Vielmehr sind solche Zahlungen an den geltenden Vorschriften des Berufsrechts, des Sozialrechts sowie des Wettbewerbs- und Heilmittelwerberechts zu messen, welche die Forderung oder Annahme unzulässiger Zuwendungen als unzulässig qualifizieren und auch entsprechend sanktionieren.

So ist es nach § 31 der Musterberufsordnung (MBO) Ärzten untersagt, für die Verordnung oder den Bezug von Arznei- oder Hilfsmitteln oder Medizinprodukten ein Entgelt oder andere Vorteile zu fordern oder anzunehmen. Darüber hinaus enthält § 32 MBO das Verbot, Geschenke oder andere Vorteile zu fordern oder anzunehmen, wenn hierdurch der Eindruck erweckt wird, dass die Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidung beeinflusst wird. Diese Verbote sind Ausfluss der Verpflichtung aus § 30 MBO, dass Ärzte in allen vertraglichen und sonstigen beruflichen Beziehungen zu Dritten ihre ärztliche Unabhängigkeit für die Behandlung der Patienten zu wahren haben. Auch im SGB V finden sich entsprechende Regelungen.

Nach § 128 SGB V sind Zahlungen an Ärzte im Zusammenhang mit der Verordnung von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln untersagt. Diese Vorschrift wurde zuletzt im Zuge des Versorgungsstrukturgesetzes um einen weiteren Absatz ergänzt, in dem der Gesetzgeber ausdrücklich klarstellt, dass Vertragsärzte, die unzulässige Zuwendungen fordern oder annehmen oder Versicherte zur Inanspruchnahme einer privatärztlichen Versorgung anstelle der ihnen zustehenden Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung beeinflussen, gegen ihre vertragsärztlichen Pflichten verstoßen. Verstöße gegen diese Vorschriften können bis zum Verlust der Zulassung und Approbation führen.

Letztlich hat auch der BGH in seiner Entscheidung abschließend betont, dass er lediglich zu entscheiden gehabt habe, ob korruptives Verhalten von Vertragsärzten und Mitarbeitern von Pharmaunternehmen nach dem derzeit geltenden Strafrecht strafbar sei. Über die Frage, ob dieses Verhalten strafwürdig sei und es daher der Schaffung neuer strafrechtliche Regelungen bedürfe, müsse der Gesetzgeber befinden. Ob dieser neue Straftatbestände schaffen wird, die neben der berufsrechtlichen und vertragsarztrechtlichen auch eine strafrechtliche Ahndung dieses Verhaltens ermöglichen, bleibt abzuwarten.

Quelle: RAin Anna Stenger, LL.M., Fachanwältin für Medizinrecht
WIENKE & BECKER – KÖLN, Rechtsanwälte,
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